Sonntag, August 08, 2010

Wurzelbehandlung gefällig?

Meine Lieblingsbevölkerungsgruppe sind die Berater. Speziell die Gattung der Unternehmensberater. Heute klären wir auf, was die Damen und Herren Berater meinen, wenn sie von "Root Cause" sprechen. Es gäbe vielleicht ein deutsches Wort dafür, Wurzelgrund oder Wurzelursache, aber das hört sich so forstwirtschaftlich-ordinär und dermassen unprofessionell an, damit in der Zunft der Unternehmensberater völlig indiskutabel, so dass es grundsätzlich nicht verwendet wird. Wurzelgrund klingt zu sehr nach Botanik. Und macht ausserdem noch offensichtlicher als "Root Cause" klar, dass es sich um ein äusserst fragwürdiges Konzept handelt, wie wir noch sehen werden.
Was meint die Beraterzunft mit dem Begriff "Root Cause"?
Mit todernster Miene verkünden die Berater, die einzig wahre "Root Cause" gesucht, analysisiert, gefunden, ermittelt, festgestellt, etc. zu haben. Wirklich getan haben sie zumeist gar nichts. Aus dem Kontext ist meist zu schliessen, dass "Root Cause" angeblich in einem kausalen Zusammenhang zum Problem steht. Es kann vermutet werden, dass der Berater hier allen Ernstes behauptet, die eine, die alles begründende, die Mutter aller Ursachen für die (als problematisch beurteilte) Wirkung erkannt zu haben. Und damit die Voraussetzung für deren Beseitung geschaffen hat. Wow! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Der gute Berater hat das bis zum Urknall zurückverfolgt, präzise analysiert und alles was jetzt zu tun ist, wäre die Auswahl der richtigen Medizin. Zum Beispiel eine Methode, wie der gefundenen "Root Cause" Herr zu werden ist und alles wird gut.

Wann verwendet der Berater diesen Begriff?
Der Berater verwendet diesen Begriff, wenn er nicht mehr weiter weiss. Wenn er fälschlicherweise annimmt, die Situation in Ihrem Unternehmen verstanden zu haben. Wenn er in Wirklichkeit aus seinem Methodenkoffer wahllos eine herausgegriffen hat. (Vielleicht nicht ganz wahllos, sondern die Methode, die gerade schick ist und schon anderen Beratungskunden zigfach angedreht wurde.) Und weil er nicht weiss, wovon er redet, wenn er das Wort "Root Cause" ausspricht.

Wie erkennt man solchen Bullshit-Talk?
Sehr häufig entlarvt der Berater oder die Beraterin sich selber. Wir sehen beispielsweise eine Folie (ein "Slide"), auf der unter der Überschrift "Root Cause" etwa fünf bis 25 Gründe genannt werden. Alle sind selbstverständlich "Root Cause". Alle 25. Hier wird unterschwellig natürlich eingestanden, dass es mit der so vollmundig behaupteten Monokausalität nichts ist. Wie so oft, spielen viele Faktoren zusammen und tragen zur Problemsituation bei. Es gibt eigentlich nie, den "einen" Grund für all das Übel, zu dessen Behebung der Berater einst gerufen worden war.

Dabei entlarvt ein kurzer Blick in die Literatur und es wird offensichtlich, wie irreführend das Bild der "Root Cause" doch ist. Betrachte z.B. die Pfahlwurzel im Gegensatz zu einem weit verzweigten Wurzelballen.

Was kann ich dagegen tun?

Beratergelaber zu entlarven ist vergleichsweise einfach. Wenn von einer "Root Cause Analyse" gesprochen wird, verlangen Sie diese Analyse.
Lassen Sie sich die vermuteten Wirkungsmechanismen aufzeigen. Wie, glaubt der Berater, habe die gefundene "Root Cause" die Problemsituation erzeugt? Wie zwangsläufig sind diese Mechanismen und Prozesse? Wurden alternative Verläufe, Einwirkung von Drittvariablen und nichtlineare Dynamiken ebenfalls in der Analyse berücksichtigt?
Stellen Sie diese Fragen. Überlegen Sie für sich, wie logisch und nachvollziehbar die Argumentation ist. Streichen Sie alle Anglizismen und sonstige Beratersprache ("Buzzwords") aus der Analyse heraus. Wie einleuchtend ist das was übrigbleibt?
Wenn von "Standards" die Rede ist (z.B. Standard-Schnittstellen, Standard-Rollendefinitionen, etc.), fragen Sie, wo diese dokumentiert und einsehbar sind. Wie häufig und wo werden die gleichen Standards eingesetzt, wieviele Beispiele können hier genannt werden? Häufig gar keine. Der Standard ist dann quasi neu, in Ihrem Unternehmen definiert, erstmalig eingesetzt und natürlich erfolgreich. Dass wir eigentlich einer grenzenlosen Experimentierfreude zusehen, einem Prozess des Versuch-und-Irrtums live in Ihrer Firma und auf Kosten Ihrer Mitarbeiter, wird verschwiegen.

Soweit unsere Ausführungen am heutigen rennfreien Sonntag. In einer der nächsten Folgen werden wir uns in ähnlicher Weise mit einem anderen bekannten und beliebten Begriff der Beratersprache, dem "Quantum Leap" beschäftigen.

Grüsse,
PP

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